Übungen und Ratschläge, um die Seele zu erneuern und in der Frömmigkeit zu festigen
Fünfter Teil
     
 

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2. Kapitel
Erwägungen über die Gnade der Berufung.

1. Erwäge deine feierliche Erklärung (vgl. 1. Teil, 20. Kapitel) in ihren einzelnen Punkten. Als erstes hast du für immer jeder schweren Sünde entsagt, sie verworfen und verabscheut; zweitens hast du deine Seele, dein Herz und deinen Leib mit allem der Liebe und dem Dienst Gottes geweiht; drittens hast du versprochen, dich mit der Gnade Gottes sofort wieder zu erheben, solltest du jemals irgendwie Böses tun. Sind das nicht ausnahmslos schöne, richtige, wertvolle und hochherzige Entschlüsse? Bedenke, wie heilig, vernünftig und begehrenswert diese Beteuerung ist.
2. Erwäge, wem du sie gegeben hast: Gott. Wenn uns ein ernstes Versprechen, das wir einem Menschen geben, streng verpflichtet, wie viel mehr das Wort, das wir Gott gegeben haben. „Herr, zu Dir hat mein Herz gesprochen“, sagte David, „mein Herz hat dieses gute Wort gesagt; nie und nimmer will ich es vergessen“ (Ps 27,8; 45,1; 119,6).
3. Bedenke, in wessen Gegenwart du sie ausgesprochen hast: im Angesicht des himmlischen Hofes. Die allerseligste Jungfrau, der hl. Josef, dein Schutzengel, der hl. Ludwig schauten auf dich, begleiteten deine Worte in freudiger Zustimmung mit ihrem Gebet, sahen dich mit unbeschreiblicher Freude zu Füßen des Heilands, als du ihm dein Herz weihtest. Es war ein Freudenfest im himmlischen Jerusalem, das nun erneuert wird, wenn du deine Entschlüsse herzhaft erneuerst.
4. Erwäge, wie du zu dieser Beteuerung gekommen bist. Wie gut und gnädig war doch Gott zu dir! Gestehe ehrlich: Fühltest du dich nicht hingezogen durch die gütigen Lockungen des Heiligen Geistes? Waren die Seile, mit denen Gott deine kleine Barke in den Hafen des Heils zog, nicht lauter Liebe und Güte? (vgl. Hos 11,4). Wie lockte er dich durch die heiligen Sakramente, durch Lesungen, durch das Gebet! Ja, du schliefst, doch Gott wachte über dich, gab deinem Herzen Gedanken des Friedens (Jer 29,11) und dachte Pläne der Liebe für dich.
5. Erwäge, zu welcher Zeit Gott dich zu diesem großen Entschluss antrieb: in der Blüte deiner Jugend. Welches Glück, schon früh erfahren
zu dürfen, was wir nicht früh genug wissen können! Der hl. Augustinus, der im Alter von 30 Jahren bekehrt wurde, rief aus: „O ewig alte Schönheit, wie spät habe ich Dich erkannt! Ach, ich sah Dich und betrachtete Dich nicht!“ Auch du kannst sagen: O ewige Liebe, warum habe ich Dich nicht schon früher verkostet? Gewiss, du hast es überhaupt nicht verdient; würdige also dankbar die Gnade, dass Gott dich schon in deiner Jugend an sich zog, und sprich mit David: „Mein Gott, Du hast mich seit meiner Jugend erleuchtet und Deine Hand auf mich gelegt; ewig werde ich Deine Barmherzigkeit verkünden“ (Ps 71,17). Rief Gott dich aber im Greisenalter, welche Gnade für dich, der seine Jahre so missbraucht hat! Gott rief dich noch vor dem Tod, er hielt deinen traurigen Lauf zum Abgrund zu einer Zeit auf, da du noch nicht auf ewig unglücklich warst, was sonst geschehen wäre.
6. Bedenke die Wirkungen dieser Berufung. Du wirst wohl manches in dir zum Guten gewendet sehen im Vergleich mit dem, was du früher warst. Hältst du es nicht für ein Glück, im Gebet mit Gott sprechen zu können, ihn lieben zu dürfen, viele Leidenschaften gedämpft zu sehen, die dich beunruhigten, von vielen Sünden und Gewissensnöten verschont zu sein, so oft die heilige Kommunion empfangen und dich darin mit der reichsten Quelle ewig währender Gnaden vereinigt zu haben? Wie groß sind doch diese Gnaden! Du musst sie mit dem Gewicht des Heiligtums wägen: Gottes Hand hat das alles getan. „Die gute Hand Gottes“, sagt David, „hat ihre Kraft erwiesen, seine Hand hat mich aufgerichtet. Ich werde nicht sterben, ich werde leben und mit dem Herzen, dem Mund und in Werken die Herrlichkeiten seiner Güte offenbaren“ (Ps 118,16).
Nach all diesen Erwägungen, die viele gute Affekte enthalten, wie du siehst, schließe einfach mit einer Danksagung und der herzlichen Bitte, daraus Nutzen zu ziehen. Versenke dich voll Demut und Vertrauen in Gott. Deine Entschlüsse fasse erst nach dem zweiten Teil dieser Übung.

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